Das Egozentrum für zeitgenössische Kunst ist die regelmäßige Ausstellungsreihe der BASTION. Anders als man es von anderen Ausstellungseröffnungen kennt, stehen im Egozentrum für zeitgenössische Kunst nicht der Sekt, die Schnittchen oder das kunstvoll inszenierte Herumstehen und Posen vor den Ausstellungsobjekten im Vordergrund, sondern das Kunstwerk und DU. Deshalb schenken wir jedem Ausstellungsbesucher ein ungefähr zehnminütiges, unbeobachtetes und intimes Tête-à-Tête mit der Kunst. Ob du die ausgestellten Werke tanzend oder per Kopfstand betrachtest, ist uns dabei egal. Diesmal zeigen wir Arbeiten der Düsseldorfer Künstlerin Laura Maréchal.
Seit 2018 arbeitet die Designerin Laura Maréchal an dem Projekt Work-In-Progress (WIP). Steht 'work in progress' im Allgemeinen für den Umlauf, das Unfertige, den vorübergehenden Zustand einer Aufgabe, eines Dokuments, einer Entscheidung oder eines Produkts, sieht Maréchal gerade in dem Prozesshaften den eigentlichen Ist-Zustand. Dafür lenkt sie den Blick des Betrachters beharrlich auf das aktuell Vollendete des vermeintlich Unvollendeten und fordert so unser Streben nach einer finalen Beurteilung heraus. Wenn der Prozess der Zustand ist - und nicht ein ersehntes oder erwartetes Ergebnis - bleibt die Wahrnehmung offen für das Jetzt.
Aus dem Mode- und Textilbereich kommend, hinterfragt Maréchal mit ihrer Arbeit Work-In-Progress (WIP) die Art und Weise, wie in der Industrie die Optimierung von Prozessen zur Herstellung von kurzlebiger Massenware zulasten von Mensch und Natur geht. Eine realistische oder angemessene Wertschätzung der Dinge wird erschwert. Wo geht Bekleidung hin, wenn sie nicht mehr tragbar ist? Wie lange bleibt sie im Kreislauf und welche Zustände kann sie annehmen? Wie lässt sich der Lebenszyklus solcher Produkte verlängern und ihr endgültiger Zustand „Müll“ hinauszögern?
Für Work-In-Progress lässt Maréchal zwei gegensätzliche Perspektiven aufeinandertreffen: Der Mensch greift punktuell ein, die Natur lässt kontinuierlich geschehen.
Ein Nesseltuch wird im Garten vergraben und so dem ultimativen work in progress ausgesetzt: dem Verrottungsprozess. Die Natur gestaltet kontinuierlich und unbeirrt, ohne Idealvorstellung eines Endzustandes. Der Prozess ist das Ergebnis. Der Verfall des im Garten vergrabenen Nesseltuchs darf nicht einfach geschehen, sondern wird immer wieder für Momentaufnahmen unterbrochen. Die menschlichen Fragen scheinen dringlich: Wo stehen wir gerade? Wie geht es weiter? Wie wird wohl das Endergebnis aussehen? Während die Natur die Kraft des unbeirrten Schaffens beherrscht, ist der Mensch in seiner Rolle des Beobachters und Kontrollierenden gefangen. Der Verrottungsprozess läuft, bis das Textilstück nicht mehr existiert.
Im Egozentrum für zeitgenössische Kunst dokumentiert Laura Maréchal einen Zwischenstand dieses Prozesses in einer dreiteiligen Arbeit: Filmmaterial, das den Verrottungsprozess des Nesseltuches seit 2019 zeigt und kleinformatige Fotodrucke, mit Details, die im Film und mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind, werden ergänzt durch eine Textilarbeit, die das Thema Upcycling einmal umgekehrt aufgreift. Aus minderwertigen Materialien und Wegwerfteilen stellt Maréchal qualitativ hochwertige Einzelstücke her. In Zusammenarbeit mit einer Schnitttechnikerin entstehen in Handarbeit Unikate – Stück für Stück auch eine Kollektion, der slow fashion verschrieben. Wieviel Geld bin ich bereit, für ein Kleidungstück zu zahlen? Welchen Wert messe ich Arbeit zu? Hat Arbeit einen anderen Wert, je nachdem wer sie verrichtet?
Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.