Regie: Stephen Daldry
Mit David Kross, Kate Winslet, Bruno Ganz, Ralph Fiennes
Der Vorleser ist ein deutsch-US-amerikanischer Kinofilm aus dem Jahr 2008. Er basiert auf dem 1995 erschienenen gleichnamigen Roman von Bernhard Schlink und handelt von dem 15-jährigen Schüler Michael Berg (David Kross, älter Ralph Fiennes), der 1958 eine Liebesbeziehung mit der zwanzig Jahre älteren Hanna Schmitz (Kate Winslet) eingeht. 1966 stellt sich heraus, dass sie KZ-Aufseherin war.
Das Drehbuch schrieb der Dramatiker David Hare unter Mitwirkung des Buchautors. Der Film wurde unter der Regie von Stephen Daldry fast ausschließlich in Deutschland gedreht.
Die Rahmenhandlung des Films spielt im Jahr 1995. Der Rechtsanwalt Michael Berg trifft sich mit seiner Tochter Julia und fährt mit ihr zum Grab seiner ersten Liebe Hanna Schmitz. Julia ist die einzige Person, der gegenüber er sich öffnen kann; ihr erzählt er erstmals die ganze Geschichte über Hanna und sich.
Die erste Rückblende ist im Jahr 1958 in Neustadt angesiedelt. Der fünfzehnjährige Michael Berg übergibt sich auf dem Heimweg. Eine fremde Frau, die 36-jährige Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz, hilft ihm, wieder auf die Beine zu kommen. Drei Monate später, nachdem Michael sich vom Scharlach erholt hat, sucht er die Fremde auf, um sich mit einem Strauß Blumen bei ihr zu bedanken. Schon am ersten Tag entsteht eine Liebesbeziehung zwischen den beiden, bei der ihn Hanna, die ihn oft „Jungchen“ nennt, auf Distanz hält. Es entwickelt sich das Ritual, dass Michael Hanna – die auf diese Weise ihren Analphabetismus vor ihm zu verbergen versucht – vor dem Sex aus Büchern vorliest. Mit der Zeit kühlt die Beziehung etwas ab, Michael ist wieder mehr mit seinen Schulkameraden zusammen, unter anderem interessiert sich eine attraktive Mitschülerin für ihn. Eines Tages ist Hanna – aus Gründen, die nur dem Zuschauer offenbart werden – plötzlich verschwunden.
Im Jahr 1966 ist Michael im Rahmen seines Jurastudiums in Begleitung von Professor Rohl Augenzeuge bei einem Prozess gegen sechs ehemalige KZ-Aufseherinnen, darunter auch Hanna Schmitz. Sie macht unbegreifliche Aussagen. Zum barbarischen Umgang mit den KZ-Häftlingen gibt sie banale Gründe an.
Im Vorfeld der Oscarverleihung meldete sich in den USA der jüdische Journalist Ron Rosenbaum zu Wort. Dieser bezeichnete den Vorleser als den schlechtesten Film über den Holocaust, der je produziert worden sei. Des Weiteren vertritt er die Meinung: „Die essenzielle Botschaft des Films ist, die Deutschen der Nazizeit davon freizusprechen, von der Endlösung gewusst zu haben.“ Auch meint er, der Film würde zu sehr mit Winslets Rolle sympathisieren und dem Publikum einreden, Analphabetismus sei beschämender, als an Massenmord beteiligt zu sein. Eine ähnliche Haltung vertritt auch Mark Weitzman, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in New York City: „Es geht um eine Frau, die verantwortlich ist für den Tod von 300 Juden – und ihre größte Scham ist es, Analphabetin zu sein.
Die Zeitschrift Cinema fand, in dem „verstörend faszinierenden“ Film habe der Regisseur das Richtige getan, sich auf die Liebesgeschichte zu konzentrieren statt zu moralisieren. Hanns-Georg Rodek von der Welt bemerkte zwar, die Bilder seien „Brüder-Weinstein-typisch“ poliert und zeigten selbst das KZ in Hochglanz. Doch die Verzahnung vieler Zeitebenen gelinge souverän in einem „Film, der intensiver nach moralischen Maßstäben fragt als jeder andere seit langem.“ Der Wechsel in die Perspektive der Täter dränge sich „so lange nach Kriegsende“ auf. Thema sei das Leiden der Nachgeborenen, was nicht zu verwechseln sei mit einer Haltung, die betont, auch die Deutschen hätten im Krieg gelitten. Das universelle Thema betreffe alle Länder, in denen Menschen mit Verbrechen früherer Generationen umgehen müssen. Der Film behandle es entgegen Hollywood’schen Gut/Böse-Schemata mit europäischer Sensibilität. Ähnlich meinte Jan Schulz-Ojala vom Tagesspiegel, an Michael manifestiere sich das moralische Dilemma der ersten deutschen Nachkriegsgeneration im Verhältnis zu ihren Eltern: „Man kann nicht verurteilen und verstehen zugleich, es sei denn man richtet sich selbst.“ Das Mitleid gelte Michael, nicht der Täterin. Unglaubhaft versöhnlich sei lediglich, dass die jüdische Überlebende Hannas Teedose neben das Foto ihrer ermordeten Familie stellt, als hätten Täter und Opfer ein gemeinsames Erbe. Der Film folge dem Roman „mit hoher Intelligenz“, und seine Dialoge betonten verstärkt die Unmoral der Verbrechen.
Bei Marion Löhndorf von der taz hinterließ der Streifen einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits suche er sentimentale Effekte und das „bewusst naiv Gefühlsselige“, bei dem der Holocaust bloße Kulisse bleibe, anderseits bemühe er sich ernsthaft, die Banalität des Bösen nicht aufzulösen. Dabei begebe er sich auf der Suche nach Hannas Handlungsmotiv „in eine prekäre Situation: Wird das Unsagbare durch seine vermeintliche Nachvollziehbarkeit, nämlich den Analphabetismus der Figur, nivelliert?“ Problematisch sei die Sichtweise auf die Täterin, eine attraktive, geheimnisvolle Verführerin.
Für atmosphärisch dicht hielt Ulrich Kriest vom film-dienst die erotischen Szenen, ansonsten verriss er die Produktion. Schon der Roman sei „altklug, selbstmitleidig und handwerklich schlecht“, und Daldrys „armselige“ Verfilmung noch schlechter. Wo das Buch in subjektiven Erinnerungen die seelische Erschütterung des Jünglings vermittelte, wolle der Film sein Publikum zu Mitleid mit einer vom Leben manchmal ungerecht behandelten Nazi-Täterin zwingen. Das „geschmackvoll drapierte Rührstück“, mit einem „pittoresken“ KZ-Besuch, sei naiv angesichts der heiklen Thematik. Empörend fand Kriest, wie der Film die Leiden von Opfern und Tätern miteinander in Beziehung setzt. Die Kontrastierung von Hannas karger Zelle mit der luxuriösen Wohnung der New Yorker Jüdin bewege sich an der Grenze zum antisemitischen Ressentiment.
Quelle: Seite „Der Vorleser (Film)“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 28. Mai 2020, 07:37 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Der_Vorleser_(Film)&oldid=200400801 (Abgerufen: 30. Juni 2020, 14:57 UTC)
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