Mit Robert Mitchum, Shelley Winters, Lillian Gish, Billy Chapin, Sally Jane Bruce, Peter Graves
Die Nacht des Jägers (Originaltitel: The Night of the Hunter) ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 1955, basierend auf dem Roman The Night of the Hunter des Autors Davis Grubb von 1953. Der Thriller, der oft dem Film noir zugerechnet wird, ist die einzige Regiearbeit des Schauspielers Charles Laughton bei einem Film. Die Nacht des Jägers spielt in der amerikanischen Great Depression der 1930er-Jahre und erzählt vom psychopathischen „Wanderprediger“ Harry Powell, gespielt von Robert Mitchum. Als er von einem zum Tode verurteilten Zellengenossen erfährt, dass dieser bei einem Raub 10.000 US-Dollar erbeutet und das gestohlene Geld bei seiner Familie versteckt hat, macht er sich an die Witwe und deren Kinder heran, um an das Geld zu gelangen. Der Film wurde bei seiner Veröffentlichung von den Kritikern skeptisch beurteilt und vom Publikum abgelehnt. Mittlerweile gilt er aber als stilistisch einzigartiges Meisterwerk. 1992 wurde er in die National Film Registry aufgenommen. Das französische Filmmagazin Cahiers du cinéma listete ihn 2008 hinter Orson Welles’ Citizen Kane auf dem zweiten Platz der besten Filme aller Zeiten.
Am Ohio River in den USA, etwa Anfang der 1930er-Jahre während der Großen Depression: Harry Powell, ein psychopathischer Frauenmörder, zieht als Wanderprediger mordend durch die Lande. Auf seine beiden Hände hat er die Wörter „Love“ und „Hate“ tätowiert. Wegen eines vergleichsweise harmlosen Autodiebstahls kommt er für einige Wochen ins Gefängnis, wo er mit dem zum Tode verurteilten Mörder und Bankräuber Ben Harper die Zelle teilt. Dieser erbeutete 10.000 Dollar bei einem Raub (nach heutiger Kaufkraft, Stand Juli 2019, rund 188.000 US-Dollar) und brachte dabei zwei Menschen um. Nur Bens Kinder John und die kleine Pearl wissen, dass er das Geld in Pearls Puppe versteckt hat. Sie mussten ihrem Vater kurz vor seiner Verhaftung schwören, dies niemand zu verraten. Powell erfährt von dem Geld – nicht aber von dem Versteck –, indem er Ben im Schlaf ausfragt. Nach Bens Hinrichtung möchte Powell unbedingt die Beute an sich bringen. Als Powell entlassen wird, macht er sich sofort an Bens leichtgläubige Witwe Willa Harper heran, indem er vortäuscht, Gefängnispriester gewesen zu sein und das Vertrauen ihres Mannes genossen zu haben. Frömmelnd erschleicht er sich durch anschauliche Predigten das Wohlwollen der übrigen Dorfbewohner, überzeugt schließlich auch Willa und heiratet sie.
Der Film gilt als einzigartige Mischung verschiedener filmischer Stile und Genres, auf die die Zuschauer seinerzeit nicht vorbereitet waren. Die Nacht des Jägers sei einzigartig in der Filmgeschichte, da der Film sich keiner Strömung zurechnen lasse und sich auch nicht mit anderen Werken von Laughton vergleichen lasse, da es seine einzige Arbeit als Filmregisseur blieb. Mit seiner bedrohlich-beunruhigenden Grundstimmung wird Die Nacht des Jägers häufig dem Film noir zugerechnet. Die allermeisten Film noirs waren Kriminalfilme der 1940er- und 1950er-Jahre mit zumeist pessimistischer Weltsicht. Die Zuordnung von Die Nacht des Jägers ist allerdings nicht unumstritten, vor allem wegen seiner surrealistischen und märchenhaften Tendenzen, die relativ untypisch dafür wären. Das Ende von Die Nacht des Jägers fällt außerdem eher positiv und versöhnlich aus, was ein weiterer Widerspruch zu den meisten Film noirs ist. Typische Handlungselemente eines Film noir sind Privatdetektive, eine Femme fatale sowie ein urbaner Schauplatz – keines dieser Elemente findet sich in Die Nacht des Jägers. Zudem ist Davis Grubb kein „Hardboiled-Detective“-Schriftsteller wie James M. Cain, Dashiell Hammett oder Raymond Chandler, die sonst die literarischen Vorlagen für viele Noir-Filme schrieben. Für eine Zuordnung zum Film noir sprechen dagegen ein eher zynischer Blick auf die Institutionen von Staat und Kirche sowie am deutlichsten die für den Noir typischen Hell-Dunkel-Kontraste. Einige Kritiker werten The Night of the Hunter als wohl wichtigstes Beispiel für einen komplett auf dem Land angesiedelten Film noir.
Auch Anleihen an die filmische Poesie von David Wark Griffiths Stummfilmen und dessen filmischen Realismus lassen sich in Die Nacht des Jägers erkennen. Das gilt insbesondere für die anfänglichen Szenen in dem Heimatdorf der Kinder und den Ort als ländliche Idylle inszenieren, die durch die Ankunft des Predigers endgültig zerstört wird. Das Versteck der beiden Kinder im Keller vor Powell wird dem Zuschauer beispielsweise durch eine Irisblende gezeigt, indem man den sichtbaren Bildausschnitt immer weiter verkleinert, sodass man das Kellerversteck erkennt. Die Irisblende war eine insbesondere in Stummfilmen angewandte Technik, die durch Griffith etabliert wurde. Für den Tonfilm waren Irisblenden dagegen unüblich. Ein Rückgriff auf die Stummfilmära wird nicht zuletzt durch die Besetzung von Stummfilmlegende Lillian Gish als Rachel deutlich, deren Name in der amerikanischen Öffentlichkeit bis heute unmittelbar mit dem Hollywood-Stummfilm und besonders mit Griffiths Werken assoziiert wird.
Die traumhafte Bildsprache, die ungewöhnlichen Kameraperspektiven und die kontrastreiche Beleuchtung erinnern an den expressionistischen Film aus dem Deutschland der 1920er-Jahre, beispielsweise an die Scherenschnittfilme von Lotte Reiniger sowie den Stummfilmklassiker Das Cabinet des Dr. Caligari, den wie The Night of the Hunter ein bewusst künstliches Szenenbild kennzeichnet. Während bei Caligari dadurch eine Atmosphäre der Angst erzeugt wird, sind es bei The Night of the Hunter in den Flussszenen eher Staunen und Geruhsamkeit. Auffallend ist vor allem auch die Schwärze, mit der viele Szenen gestaltet sind – insbesondere die Szenen, in denen die Kinder vom Priester bedroht werden, spielen mit der Düsternis. Ein Beispiel ist die wenig beleuchtete Szene am Filmanfang, in der Powell mit anderen Männern dem Striptease einer Tänzerin zuschaut: nur die Tänzerin und Prediger mit seinen tätowierten Händen und seinem Klappmesser sind beleuchtet, der Rest der Szene ist nur minimalistisch in Silhouetten zu sehen. Am deutlichsten wird der expressionistische Einfluss während der rund zehn Minuten langen Flussszenen, deren teilweise groteske Kulissen vom bekannten Szenenbildner Hilyard M. Brown bewusst überkünstelt gestaltet wurden. Bei den Flussszenen kommt es immer wieder zu surrealistischen Momenten, etwa wenn es durch die Kameraperspektive so aussieht, als ob das Boot mit den flüchtenden Kindern in einem Spinnennetz gefangen sei.
Neben Griffith und dem deutschen Expressionismus waren die skandinavischen Stummfilme eine dritte Inspiration für Laughton. Regisseure wie Victor Sjöström schilderten hingebungsvoll das Landleben und räumten der Kraft der Natur, die gegenüber dem einzelnen Menschen als übermächtig erscheint, in ihren Filmen viel Platz ein – Merkmale, die auch in diesem Film erkennbar sind. So wird Harry Powell durch die Tiefe des Flusses vorerst aufgehalten, die Kinder weiter jagen zu können, und muss ihnen auf dem Landweg folgen.
Kommerziell war der Film seinerzeit ein Misserfolg, so erinnerte sich beispielsweise die Kritikerin Pauline Kael, dass sie den Film in einem Kino mit 2000 Plätzen gesehen habe, von denen nur ein Dutzend besetzt gewesen seien. Die zeitgenössischen Kritiken zu The Night of the Hunter fielen nur gemischt aus, an der US-Ostküste wurde der Film sogar von einigen Kritikern komplett verrissen.
In den folgenden Jahrzehnten veränderte sich die Rezeption des Filmes grundlegend, nicht zuletzt durch Ausstrahlungen des Filmes im US-Fernsehen sowie den sich verändernden Publikumsgeschmack. Vorherige Aspekte des Films, die als übertrieben künstlerisch stigmatisiert wurden, fanden ab den 1970er-Jahren Lob. So äußerte Douglas Brode 1976, dass der Film so offensichtlich wie nur möglich im Studio gedrehte Szenen mit anderen, sehr realistisch wirkenden Einstellungen verbinde. Aber „statt zusammenzustoßen, mischen sie sich zu einer auffällig eigenständigen Vision“. Truffaut äußerte rückblickend, dass es ein Film gewesen sei, der die Liebe zum Experimentalfilm wiedererweckt hätte („[…] ein Experimentalkino das wirklich experimentiert, und ein Kino der Entdeckungen, das wahrhaftig entdeckt“). Durch die Veröffentlichung des Filmes auf Homevideo, verschiedene popkulturelle Referenzen und den Einsatz von Regisseuren wie Martin Scorsese wurde der Status von The Night of the Hunter ab den frühen 1990er-Jahren nochmals aufgewertet und es erfolgten seitdem häufiger wissenschaftliche Untersuchungen.
Bei vielen Filmkritikern wird er mittlerweile als einer der besten Filme aller Zeiten geschätzt. Auf dem Kritikerportal Rotten Tomatoes besitzt Die Nacht des Jägers basierend auf den gewerteten 69 Kritiken eine positive Wertung von 99 %, wobei die einzige negative der 69 Kritiken zum Film aus dem Entstehungsjahr kommt. Roger Ebert von der Chicago Sun-Times nahm den Film 1996 in seine Bestenliste der Great Movies auf und gab ihm die Höchstwertung von vier Sternen. The Night of the Hunter sei „einer der größten amerikanischen Filme, hat aber nie die Anerkennung erhalten, die er verdient“. Die Menschen könnten ihn nicht kategorisieren, deshalb würden sie ihn ignorieren. „Dennoch: Was für ein unwiderstehlicher, angsteinflößender und wunderschöner Film er ist! Und wie gut er seine Zeit überstanden hat.“ Auch 40 Jahre später wirke der Film noch komplett zeitlos und Laughton habe mit seiner ersten Regiearbeit „einen Film, wie es ihn nie zuvor und nie danach gegeben hat“ geschaffen. Der Film zeuge von einem großen Selbstvertrauen des Debütanten Laughton, denn beim Anschauen könne man denken, er würde auf ein Lebensalter an Regieerfahrung zurückgreifen. Dabei habe er viele filmische Konventionen erfolgreich gebrochen: „Es ist riskant, Horror mit Humor zu verbinden, und tollkühn einen expressionistischen Ansatz zu verfolgen.“
Einige der Thriller- und Horror-Elemente sowie die von Laughton teilweise grotesk gezeigten Situationen verweisen stilistisch und inhaltlich bereits auf spätere Filme. Die Konfrontation der beschaulichen Kleinstadt mit dem ultimativen Bösen wurde beispielsweise für den Regisseur David Lynch ein zentrales Thema, etwa in Blue Velvet und Twin Peaks.
Rückblickend kann Die Nacht des Jägers als Vorreiter späterer, erfolgreicher Filmgenres verstanden werden. Ethan und Joel Coen zitierten die Szene mit Mrs. Harper am Flussgrund in ihrer Noir-Hommage The Man Who Wasn’t There. Auch in weiteren Filmen der Coen-Brüder lassen sich Anspielungen finden: So wird in Ladykillers und True Grit jeweils das Lied Leaning on the Everlasting Arms gesungen und die letzte Zeile von The Big Lebowski mit dem Satz „Der Dude bleibt“ (“The Dude Abides”) erinnert an den letzten Satz von Mrs. Cooper in The Night of the Hunter – in dem sie ihre Aussage aber nicht auf Jeff Bridges’ Alt-Hippie-Figur, sondern auf die Kinder der Welt bezieht.
In Spike Lees Do the Right Thing (1989) trägt die Figur Radio Raheem an seinen Fingern Ringe mit den Wörtern Love und Hate und zitiert an einer Stelle im afroamerikanischen Slang die Predigt von Harry Powell direkt. Lee setzt diese Szene als Vorausdeutung des gewaltsamen Filmendes von Do the Right Thing ein, bei dem Radio Raheem erschossen wird und daraufhin wie in The Night of the Hunter ein gewaltsamer Mob durch die Straße zieht. 2012 stellte Lee The Night of the Hunter bei einer Ausstrahlung im Fernsehsender Turner Classic Movies als einen seiner Lieblingsfilme vor. Eine Anspielung an die Händeszene gibt es auch bei der von Meat Loaf verkörperten Figur des Eddie in The Rocky Horror Picture Show sowie in einer Episode der Serie Die Simpsons von 1993.
Zwar wurde Die Nacht des Jägers bei seiner Veröffentlichung mit keinerlei Auszeichnungen bedacht, allerdings folgten in späteren Jahren zahlreiche Ehrungen durch Kritiker: 1992 erfolgte die Aufnahme des Filmes in das National Film Registry als „kulturell, historisch oder ästhetisch bedeutsam“. Bei einer Abstimmung des American Film Institute wurde er 2001 auf Platz 34 der besten amerikanischen Thriller aller Zeiten gewählt, zwei Jahre wurde bei dem Filminstitut außerdem die Figur des Harry Powell auf Platz 34 der größten Filmschurken genannt. Das französische Filmmagazin Cahiers du cinéma listete Die Nacht des Jägers im Jahre 2008 hinter Orson Welles’ Citizen Kane auf dem zweiten Platz der besten Filme aller Zeiten. 2009 wurde der Film vom britischen Kulturmagazin The Spectator auf Platz 1 der 50 „essenziellsten Filme aller Zeiten“ gewählt (vor Apocalypse Now und Sunrise). Bei der renommierten, alle zehn Jahre stattfindenden Kritikerumfrage des britischen Filmmagazins Sight & Sound nach dem besten Film aller Zeiten wurde The Night of the Hunter im Jahr 2012 auf Platz 63 gewählt.